
Kulturvielfalt ist ein wesentlicher Vektor für gesellschaftlichen Fortschritt
Auch wenn es viele Zwischenstufen gibt, können wir grob zwei Tendenzen unterscheiden: die Populärkultur und die Hochkultur (oder unabhängig, Avantgarde).
Die populärsten Kulturen neigen nicht dazu, den Sinn für Offenheit zu fördern und ermutigen die Menschen daher nicht, unabhängig zu denken. Wenn sich die Menschen in standardisierten Interessenzentren einschließen, sind sie nicht mehr in der Lage, die Komplexität politischer Fragen zu verstehen, und dies ist ein perfekter Nährboden für Populismus und politische Exzesse. Besonders deutlich wird dies bei der Bildschirmkultur, zumal das Internet ausdrücklich darauf programmiert ist, keine vielfältigen Inhalte zu bieten.
Auf der Seite der elitären Kulturen (die viel weniger Menschen erreichen) findet man im Großen und Ganzen zwei Arten von Publikum: bescheidene oder mittelständische Intellektuellen- und Künstlerklassen, deren politische Bestrebungen überwiegend progressiv sind, und Klassen der Wirtschaftselite, deren Bestrebungen überwiegend konservativ sind (es gibt natürlich viele Ebenen, die sich vermischen). Dennoch sind diese beiden auf den ersten Blick gegensätzlichen Welten sehr oft durch die Kultur miteinander verbunden, und zwar speziell in den reichen westlichen Ländern, die eine umfangreiche Politik zur Unterstützung von Kultur und Kunst entwickeln. Die Mehrheit der Künstler/innen lässt sich von progressiven und humanistischen gesellschaftspolitischen Bewegungen inspirieren und identifiziert sich mit ihnen, und ihr ästhetischer Einfluss auf die konservativen Eliten ermöglicht es auch, dort bestimmte Ideen zu verbreiten, auch wenn dies Zeit braucht, während sich eine große Mehrheit der Bevölkerung oft nicht von diesen Prinzipien angesprochen fühlt. Dies ist wahrscheinlich die Ursache für Paradoxien bezüglich der Entstehung bestimmter sozialer Fortschritte, die nur durch ein demokratisches Machtverhältnis der Bevölkerung nicht zustande kommen würden (z. B. bei der Öffnung für Fragen der sexuellen Freiheit und Identität, der Abschaffung der Todesstrafe, der Ökologie usw.).
Daher glaube ich, dass die Förderung der kulturellen Vielfalt durch den Kampf gegen die Allgegenwart kommerzieller Kulturen daher auch eine Möglichkeit ist, humanistische Fortschritte zu fördern.
Do Not Expect Too Much from the End of the World - Radu Jude, Rumänien, 2023